Feministische Therapie versteht psychisches Leid als Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Patriarchat, Rassismus, Heteronormativität und Ableismus schreiben sich in Körper und Biografie ein. Therapeutische Arbeit bedeutet daher, politisches Bewusstsein und persönliche Entwicklung zu verweben. In Deutschland findet dieser Ansatz Resonanz bei Klient*innen, die sich in klassischer Psychotherapie oft nicht repräsentiert fühlten – queere Personen, Alleinerziehende, Migrant*innen, Männer jenseits des traditionellen Rollenbildes.
Der Prozess beginnt mit einer Machtressourcenbilanz: Welche Privilegien und Benachteiligungen prägen das Leben? Die Klientin zeichnet eine Matrizscheibe mit Segmenten für Gender, Klasse, Hautfarbe, Religion. Jede Facette wird auf Skalen von Machtzugewinn / Ohnmacht reflektiert. Aus dieser Analyse entstehen Therapieziele: internalisierte Misogynie lockern, Grenzen setzen gegenüber Care‑Overload, Traumas aus sexualisierter Gewalt bearbeiten.
Methodisch verbindet feministische Therapie Körperarbeit (Somatic Experiencing), kreative Medien (Collagen zum Thema „mein selbstbestimmtes Ich“) und kritische Psychoedukation. Bei Essstörungen wird die Diätkultur als politisches Projekt der Kontrolle diskutiert; bei Burn‑out wird „Mental Load“ kartiert: wer trägt unsichtbare Organisationsarbeit? Männerprogramme zielen darauf ab, Empathie und Emotional Literacy zu fördern, statt Symptome mit Alkohol oder Aggression zu überdecken.
Intersektionalität ist Leitstern: Eine schwarze, lesbische Frau mit Behinderung erlebt Mehrfachdiskriminierung. Die Therapie schafft Schutzraum und vermittelt Rechtskenntnisse (Antidiskriminierungsstelle). Forschung der FU Berlin (2024) belegt, dass intersektionale feministische Gruppenprogramme depressive Symptome stärker senken als reine CBT bei Frauen of Color.
Ethik bedeutet geteilte Autorität: Ziele werden ko‑konstruiert, Diagnosen transparent besprochen. Zudem reflektiert die Therapeutin eigene Sozialisierung, nutzt Supervision gegen blinde Flecken und arbeitet honorarsozial – einkommensabhängige Staffelung.
Nach erfolgreichem Verlauf berichten Klient*innen ein Gefühl von „Raum im Brustkorb“ – Metapher für zurückgewonnene Handlungsfähigkeit. Feministische Therapie beweist, dass Heilung nicht Separierung von Politik ist, sondern Rückeroberung von Körper, Stimme und Platz in der Welt.