Erlebnisorientierte Therapie (Experiential Therapy) versteht sich als Gegenbewegung zur rein kognitiven Gesprächsdominanz in der Psychotherapie. Sie wurzelt in der Gestalttherapie, dem Psychodrama und der Körperpsychotherapie und geht davon aus, dass Erleben, Handeln und Fühlen untrennbar sind. Im deutschsprachigen Raum wird sie etwa in Kliniken für Sucht, in Jugendhilfeeinrichtungen sowie in Outdoor‑Settings der Erlebnispädagogik eingesetzt.
Zu Beginn einer Sitzung kann die Therapeutin den Klienten bitten, sein aktuelles Befinden in einer Tonfigur darzustellen. Durch das taktile Formen werden vorsprachliche Emotionen aktiviert. Im Anschluss wird die Figur gemeinsam betrachtet: „Welche Haltung nimmt dein Tonwesen ein?“, „Wo steht es im Raum?“. Das externalisierte Bild ermöglicht Distanz und zugleich tiefe Resonanz. Anschließend folgt eine Sequenz der Verkörperung: Der Klient ahmt die Haltung der Figur nach, spürt Muskelspannung, Atemrhythmus und erlebt unmittelbar, welche Gefühle damit verknüpft sind.
Ein Forschungsprojekt der Universität Salzburg (2023) zeigte, dass Klienten mit Angststörung nach zehn Sitzungen Erlebnistheater eine signifikante Abnahme auf der BAI‑Skala verzeichneten, während die Herzratenvariabilität anstieg – Hinweis auf bessere vagale Regulation. Neurowissenschaftliche Erklärungen verweisen auf multisensorische Integration, die Thalamus‑Amygdala‑Kreisläufe moduliert.
Die erlebnisorientierte Therapie folgt drei Phasen: 1) Kontakt (Sich‑Selbst‑und‑den‑Raum‑spüren), 2) Aktion (kreative oder körperliche Exploration), 3) Integration (reflektierendes Gespräch, Tagebuch, Nachspüren). Bei Traumapatienten wird mit dem Grundsatz der Dosierung gearbeitet: erst Ressourcenübungen wie „sichere Geste“ oder „orientierender Blick“ – dann schrittweise Konfrontation mit dem belastenden Material über symbolische Medien (z. B. Farbpigmente, Klangschalen).
Ausbildungsgänge umfassen Gestalt‑ und Psychodramatherapie (DGfP, DFP), körperorientierte Verfahren (Hakomi, Focusing). Der Deutsche Bundesverband für Erlebnispädagogik fordert Risikomanagement‑Schulungen für Outdoor‑Interventionen: Sicherungstechnik, Wetterkunde, Notfallpsychologie.
Praxisfelder: In Unternehmen werden Teamkonflikte durch improvisierte Szenen sichtbar gemacht; in der stationären Suchttherapie durchlaufen Patienten Hochseilgärten, um Selbstwirksamkeit real zu erfahren. Die Stärke des Ansatzes liegt in der Verkörperung abstrakter Themen – Verantwortung wird spürbar, wenn man buchstäblich das Seil hält.
Zusammengefasst bietet erlebnisorientierte Therapie einen Erfahrungsraum, der kognitive Einsicht mit somatischer Integration verbindet. Sie lehrt, dass Weisheit nicht nur im Kopf wohnt, sondern dort entsteht, wo Bewegung, Emotion und Bewusstsein einander berühren.