Reality Therapy (RT) wurde im deutschsprachigen Raum lange unterschätzt, weil sie sich nicht in die traditionelle Tiefenpsychologie einordnen ließ. Doch in einer Kultur, die Eigenverantwortung schätzt, gewinnt sie zunehmend Anhänger. Ihr Fundament: Wahltheorie. Menschen handeln, um fünf Grundbedürfnisse zu befriedigen – Überleben, Zugehörigkeit, Macht, Freiheit und Spaß. Leid entsteht, wenn die derzeitigen Verhaltensweisen diese Bedürfnisse unzureichend oder auf Kosten anderer stillen.
Das Herzstück der Sitzung bildet der WDEP‑Prozess: W (Wants) – präzisieren, D (Doing) – beobachten, E (Evaluation) – Nutzen prüfen, P (Plan) – Handlung festlegen. Beispiel: Ein Manager will gesündere Work‑Life‑Balance, arbeitet jedoch 60 Stunden. Die Evaluation deckt Diskrepanz auf, der Plan inkludiert feste Feierabend‑Rituale, delegierbare Aufgabenlisten und ein wöchentliches Feedback.
Aktuelle Studien der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (2024) zeigten, dass RT in Schulprogrammen die Konfliktlösungskompetenz um 30 % steigerte. Lehrkräfte berichten, dass Schüler mithilfe der „Qualitätsfrage“ – „Bringt mich das meinem Ziel näher?“ – impulsive Reaktionen reduzieren. In Justizvollzugsanstalten wird RT genutzt, um Verantwortung für Entscheidungen statt Opferdenken zu fördern.
Die Methode legt Wert auf praktischen Vertrag: Der Klient formuliert ein SMART‑Ziel, der Therapeut fungiert als Coach, nicht als Richter. Fehlschläge gelten als Feedback, nicht als Scheitern. Kritiker sehen die Fokussierung auf das Jetzt als Vernachlässigung traumatischer Vorgeschichte; Befürworter entgegnen, dass RT Traumainhalte anerkennt, aber deren heutige Steuerkraft mittels neuer Entscheidungen schwächt.
Reality Therapy spricht Menschen an, die handlungsorientierte Klarheit suchen: weniger Grübeln, mehr Tun. Indem sie die Frage „Wie kann ich die Kontrolle zurückerlangen?“ beantwortbar macht, wird sie zu einem Werkzeug für selbstbestimmtes Lebensmanagement.