Die Positive Psychotherapie nach Nossrat Peseschkian fand im deutschsprachigen Raum früh Verbreitung, doch lange blieb sie im Schatten behavioraler Verfahren. In den letzten Jahren erlebt sie ein Revival, weil sie kulturelle Diversität in den Vordergrund stellt und gleichzeitig kurzfristige, lösungsorientierte Arbeit ermöglicht. Herzstück ist das sogenannte «Balancemodell»: Vier Lebensbereiche – Körper/Sinne, Leistung, Kontakte/Fantasie und Zukunft/Bedeutung – werden wie Waagschalen betrachtet. Leiden entsteht, wenn eine Schale chronisch überwiegt. Anstatt Defizite zu analysieren, fragt der Therapeut: «Welche bisher ungenutzte Ressource könnte das Ungleichgewicht ausgleichen?»
Ein Sitzungsablauf beginnt häufig mit einer orientalischen Parabel. Etwa die Geschichte vom weisen Derwisch, der einem Schüler rät, zuerst den eigenen Garten zu pflegen, bevor er die Welt retten will. Solche Bilder sprechen limbische Netzwerke an und umgehen analytische Blockaden. Anschließend erarbeiten Klient*in und Therapeut*in konkrete Mikrointerventionen: eine Telefonverabredung mit einer alten Freundin zur Stärkung sozialer Kontakte oder zehn Minuten Atembewusstsein zur Förderung körperlicher Selbstwahrnehmung.
Eine Studie der Charité Berlin (2024) zeigte, dass bereits zwölf Sitzungen Positive Psychotherapie depressive Symptomlast ähnlich stark senken wie kognitive Verhaltenstherapie, allerdings mit höherer Steigerung von Lebenssinn und Selbstwirksamkeit. In Flüchtlingsunterkünften kombiniert man das Verfahren mit Dolmetscher‑gestützten Gruppen, in denen jeder Teilnehmende eine Ressource seines Herkunftslandes vorstellt – sei es ein Tanz, ein Rezept oder ein Sprichwort. So entstehen transkulturelle Brücken und eine Wertschätzung der eigenen Identität.
Kritiker bemängeln die narrative Natur der Methode: Geschichten seien subjektiv und schlecht operationalisierbar. Befürworter kontern, dass gerade diese Offenheit den Zugang zu unbewussten Potenzialen erleichtert. Um wissenschaftliche Anforderungen zu erfüllen, integrieren viele Institute standardisierte Outcome‑Skalen (z. B. WHO‑5 Well‑Being Index) sowie Follow‑up‑Messungen.
Wer Positive Psychotherapie wählt, entscheidet sich für einen Ansatz, der das Menschliche in seiner Mehrdimensionalität würdigt. Probleme werden weder bagatellisiert noch pathologisiert, sondern als Impulse verstanden, vergessene Kräfte zu reaktivieren. Am Ende steht nicht die Abwesenheit von Symptomen, sondern die spürbare Rückkehr zu einem Gefühl innerer Fülle – ein leiser, aber tragfähiger Wohlklang im Alltag.
